Wolfgang Dörfler
Herrschaft und Landesgrenze
Die langwährenden Bemühungen um die Grenzziehung
zwischen den Stiften und späteren Herzogtümern
Bremen und Verden

Stade 2004

LANDSCHAFTSVERBAND DER EHEMALIGEN HERZOGTÜMER BREMEN UND VERDEN
SCHRIFTENREIHE DES LANDSCHAFTSVERBANDES DER EHEMALIGEN HERZOGTÜMER BREMEN UND VERDEN.
im Auftrag herausgegeben von Bernd Kappelhoff und Hans-Eckhard Dannenberg
Band 22

Sonsten würde diese ungereimbte Volge daraus entstehen, daß die Stadt Bremen Verdisch und die Stadt Verden Bremisch wehren....
Verdener Beamter 1619
Der Krumme Ort
Die Dörfer Bötersen, Höperhöfen, Waffensen und Hassendorf sowie der ehemals einstellige Hof Jeerhof werden mitunter in den Quellen zusammenfassend "Der Krumme Ort" genannt. Hammerstein hatte die Herkunft dieses Namens in einen Zusammenhang mit der "Krummen Grafschaft" gebracht, dem alten Freibannbezirk, der für Neuenkirchen und das jenseits der Wümme gelegene Hellwege belegt ist.32 Daraus könnte man eine frühe Übertragung an Verden ableiten.33 Eine Ortsgeschichte der fünf Siedlungen ist nur für Waffensen und Hassendorf veröffentlicht, wobei die Arbeit von Erika Köster über Waffensen das Niveau einer Ortschronik weit übersteigt, da es sich um die Dissertation der Autorin gehandelt hat. Die Autorin verfolgt mit großer Intensität die örtlichen Entwicklungen an Hand des Flurgefüges und der Stel­lenzahlen.34 Die informative und gut zu lesende Ortschronik für Hassendorf aus der Feder Gernot Breitschuhs versucht das Thema dieser Untersuchung in einer Zusam­menfassung dem Leser nahe zu bringen.35
Über die mittelalterliche Geschichte der Region veröffentlichte Peter von Kobbe mit Berufung auf die Ottersberger Geschichte Johann Justus Kelps die folgende spekulati­ve Beschreibung: Der (Verdener) Bischof Iso, ein Graf von Wölpe, legte einen Theil der Grafschaft Ottersberg zum Stifte Verden, worüber sein Vater36 mit dem folgenden Bischöfe Lüder in Streit gerith; es blieben von dieser Schenkung der krumme Ort im Kirchspiel Sottrum (mit den Dörfern Waffensen, Bötersen, Hassendorf, Jehr, Hö­perhöfen, Sottrum jenseits der Wiste, Lühne und Mulmshorn) bei Verden.37 Unklar ist, welche Indizien Kobbe bzw. Kelp zu dieser Behauptung angeregt haben.
Das Gebiet zwischen Wieste und Wümme nach 1600 (StA Stade Karte 41 1 / 21).
Im Kirchspiel Sottrum
Die Ersterwähnung der Dörfer der Krummen Ortes erfolgt im ältesten Verdener Güterregister von ca. 1250. Dort sind drei Kategorien von Einnahmen aufgelistet: Kornzehnte, Schmalzehnte und Einkünfte vom Grundbesitz an zu Villikationsrecht vergebenen Höfen. Im Besitz dieser Einkünfte ist die Verdener Kirche und zwar einmal der Verdener Bischof, dessen alleinige Besitzungen unter den dornt villicationis erscheinen und andererseits das Domkapitel, dem die Erlöse aus den bona advocatie zugerechnet werden.38 Diese Unterscheidung ist für den landesgeschichtlichen Ab­gleich zwischen Bremen und Verden zweitrangig, so daß ich in der folgenden Erörte­rung die Besitzungen von bischöflicher Tafel und Domkapitel zusammengefasst habe.
Fast vollständig befinden sich die Schmalzehnten in verdischer Hand, nämlich die von Hostede, Biddestede, ambobus Ollerdeshom Lune, Hope, Buterßen, Hertsendorp und zwar in dieser Reihenfolge.39 Horstedt, Bittstedt, Mulmshorn, Luhne, Höperhöfen, Bötersen und Hassendorf sind sicher zu identifizieren.40 Bei der Aufzählung der Kornzehnten, die in Sutherm gesammelt werden, finden sich aus der Region zwischen Wieste und Wümme allerdings nur Helwedehude (Fährhof?) und Everinghusen. Jenseits der Wieste bzw. der Wümme sind noch die großen Zehnten von Cregenhop (Kreienhof? - eine Wüstung bei Waffensen) Reßmere (Reeßum), Wolmendingheborstoldt (Clüversborstel), Tervenstede (Tarmstedt) und Hepstede (Hepstedt) aufgelistet.
An verdischen Höfen des Untersuchungsraums sind in dem Register verzeichnet (in Klammern der heutige Name und die Zahl der verdischen Höfe um 1250): Berchoff (Barkhof 1), Broke (der wüste Brockmannshof? 1), Bötersen (Bötersen 1), Bulverstede (Bülstedt 1), Helwede (Hellwege 2), Helwedehuda (Fährhof? 1), Hertzenihorp (Hassen­dorf 2), Hostede (Horstedt 2), Kertelhoff (der wüste Kesselhof 1), Lune (das wüste Alten-Lune 6), Reßmere (Reeßum 5), Sceslo (Schleeßel 2), Sutherm (Sottrum 11) und Waffenscen (Waffensen 5).
Nach dem Ergebnis der Bistumsgrenzenuntersuchung bei Hodenberg und Heyken sind alle Dörfer des Krummen Ortes im Sprengel des Verdener Bistums gelegen und also ursprünglich auch alle Zehnten in bischöflich verdischer Hand gewesen. Miesner hat einige Urkunden aus dem 14. und 15. Jahrhundert veröffentlicht, in denen die Ankäufe der Zehnten in Bötersen, Höperhöfen, Hassendorf und Lune durch die Verdener Bischöfe Heinrich IL, Johann III. und Barthold dokumentiert sind.41 Alle diese Zehn­ten kamen aus der Hand von Knappen, wie es im Text heißt, an das Bistum. Beson­ders gut ist dies in Höperhöfen und Bötersen zu verfolgen, wo sich zwei Urkunden über den Zehntverkauf erhalten haben. 1367 verkauften wy Hinrick und Bertold geheten Schulten unsen Tegende to Butersen un to Hope deme erlicken Manne Johan­ne von Tzarnhusen.42 Dessen Erbe Otto von Tzarnhusen Knape tauscht 73 Jahre später den Korntegheden und Vleschtegheden to Boterßen und to Hope gegen den Zehnten von vier Höfen in Zahrnsen bei Schneverdingen mit deme Erwerdigen in Gode Vadere und Heren, Hn. Johanne Bischuppe to Verden.43 Dies waren aber keine Neuerwer­bungen für Verden, sondern nur der Rückkauf des Unter- oder Lehnseigentums an den Zehnten von Bötersen und Höperhöfen, die so vollständig in verdischen Besitz zu­rückgelangten. Ein Verkauf auch des bischöflichen Obereigentums konnte nur an kirchliche Institutionen (Klöster oder Stifte) erfolgen. Zehnten waren für die adeligen Besitzer nur eine Einkunftsquelle bzw. ein Pfand für geliehenes Geld, aber nicht ein frei verfügbares Veräußerungsobjekt.
Die einzelnen Dörfer und Höfe
1594 hatte das Verdener Domkapitel auch die Schmal- und Kornzehnten in Reeßum und Waffensen in seinem Besitz.44 Um 1650 befinden sich zwischen Wieste und Wümme die Zehnten von Sottrum, Bötersen, Höperhöfen, Hassendorf, Everinghausen und Waffensen in verdischer Hand.45 Manche andere Zehnte waren inzwischen ab­gelöst worden, so daß das Jordebuch von 1692 für Barkhof, Fährhof und Jeerhof vermerkt, daß dort kein Zehnt mehr gezahlt würde.

Mit dem Grundbesitz an Höfen wurde in größerem Umfang nur bis zum Anfang des 16. Jahrhundert gehandelt. Seitdem sind zumindest im Untersuchungsgebiet nur noch ganz sporadische Verkäufe dokumentiert. Vielleicht hing dies mit der Einführung der neuen Steuer des 16.-Pfennigschatzes zusammen. Diese Steuer wurde allein einem Landesherren geschuldet und zwar dem, in dessen Grundbesitz der Hof stand, bzw. dem, der den Oberbesitz eines als Lehen vergebenen Hofes innehatte. Bei einem Verkauf wäre diese Steuereinnahme dem vorbesitzenden Landesherrn verlorengegan­gen. Seit dem 16. Jahrhundert waren die finanziellen Interessen des Stiftes mit denen der Stände so eng verwoben, daß auch auf Seiten der Stände die Wahrung des Stifts­besitzes als Aufgabe angenommen wurde. Streitakten zu den Themen Grundbesitzver­kauf und Schatzrecht habe ich nicht gefunden, wahrscheinlich weil solche Verkäufe nach 1500 so gut wie nicht mehr stattgefunden haben. Für diese Thesen sprechen die um 1500 in Bremen formulierten Vorwürfe wegen der vorausgegangenen Verkäufe des Dorfes Hesedorf bei Gyhum und des Gutes Boeterssen.46 Der Zuerwerb von drei Höfen in Luhne in den Jahren 1439 und 144047 brachte den Verdener Bischof später (erstmals 1548 nachweisbar) in den Besitz des ungeteilten Schatzes in diesem Dorf.

Gemeinsam mit Clüversborstel, Schleeßel, Platenhof, Dodenberg, Everinghausen, Mulmshorn und (Groß-)Sottrum selbst bildeten die Siedlungen des Krummen Ortes den rechtswümmischen Anteil des Kirchspiels Sottrum, den das Herzogtum Verden schließlich als Landesteil zugesprochen bekam. Bis zum 16. Jahrhundert hatte auch Luhne kirchlich zu Sottrum gehört. Ob nach Legung des Dorfes die Bediensteten des Vorwerks in Rotenburg oder in Sottrum zur Kirche gingen, konnte ich nicht klären.
Von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Grenzregulierung von 1764 waren die Dörfer unterschiedlich intensiv an das Amt Rotenburg auf der einen und an das Amt Ottersberg auf der anderen Seite gebunden. In den meisten Dörfern hatte der verdische Einfluss zwar überwogen, er war jedoch fast überall geteilt. In Zahlen ausgedrückt besaß Verden gegenüber Bremen 1560 folgende Hofstellen: Bötersen 10:2, Hassen­dorf 11:4 und Waffensen 8:4.48 Bis 1690 hatte sich die Zahl der Höfe und auch die Verteilung auf Verden und Bremen nicht wesentlich geändert (Bötersen 12:2, Hassen­dorf 8:5 und Waffensen 10:3).49 Für Höperhöfen und Jeerhof zeigten die Schatzregis­ter und Jordebücher ungeteilten Besitz Verdens. Jeerhof ist in dem ältesten Register nicht verzeichnet. Auch 1548 scheint der Platz noch zu Höperhöfen gerechnet worden zu sein, das in diesem Jahr 14 Höfe aufwies50 und 12 Jahre später nur noch acht. Erst 1560 wird in Jeerhof unter dem Namen Tom Ghyhe ein einzelner Hof erwähnt. 1567 war der Hof bereits in zwei gleich große "Halbhöfe" geteilt, jetzt hieß die Siedlung Zum Gehe.51 1631 sind für Gerhoff drei Höfe nachgewiesen.52 In Hoper Hovenn sind in demselben Jahr nur noch sechs Halbhöfe und eine Kate verzeichnet, ohne daß bremischer Besitz in dem Dorf aufgetreten wäre.
Die Grundbesitzrechte waren im 16. Jahrhundert identisch mit der Landesherrschaft geworden. Der geringe Grundbesitz des Stiftes Bremen konnte dessen Anspruch auf die Landesherrschaft im Krummen Ort also nicht stützen, was schließlich der ent­scheidende Grund für den verdischen Erfolg wurde.
Es blieben nur die bremischen Gerichtsrechte zur Begründung, über die ich bereits ausführlich berichtet habe.53 Es gab in diesen Dörfern zunächst eine gemeinsame, dann eine konkurrierende und schließlich eine geteilte Gerichtstätigkeit. Die Gesamt­zahl der überlieferten Gerichtsfälle ist nur gering, besonders wenn man sich den langen Zeitraum von ca. 100 Jahren vergegenwärtigt, auf den die beiden Ämter in ihren Ausarbeitungen rekurrierten. So muss man vermuten, daß oft aus der Situation heraus Verhaftungen oder Pfändungen vorgenommen wurden, die der anderen Seite gar nicht bekannt wurden und daher nicht in die Akten gelangten. Andererseits wühlte die rückblickende Berichterstattung immer wieder Fälle an die Oberfläche, die Jahr­zehnte zurücklagen und von der Gegenseite nur mit dem Hinweis auf ihr damaliges Nichtwissen und die formale Unzulässigkeit kommentiert werden konnten. Das Beweismittel der in der Vergangenheit vollzogenen Gerichtstätigkeit blieb stumpf. Für die Heimatforschung aber hat dies Wiederhervorholen eine Zahl von oft banalen Fällen überliefert, die andernorts nur selten in die Akten gelangten.

Als Beispiel sollen drei Delikte aus dem Dorf Höperhöfen zitiert werden, die dem Protokoll der Langwedelschen Grenzbesprechung des Jahres 1596 entnommen sind.
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Lippoldt von Bottmer, gewesener Droste zu Rotenburgk, (hat) bei Bischoff Eber­harten Zeiten (1566-1586) eben dasselbig Weib von Höperhöfen davon jetzo (1596) der Streit, ihrer Unzucht halber, so sie getrieben, nicht allein von Haus und Hof sondern auch gahr aus dem Stifft Verden und Ambt Rotenburgk verjaget und getrieben und den Katen, darein sie domals gewohnet, in ein Brandt stecken und niederreißen lassen. Und weil sie sich dazumahl nach dem Landt zu Sachensen be­geben und mit einem Kötner daselbst im Lande befreiet, und ahn itzo Ihrem G.F. und Hern, dem Hern Postulirten zu Osnabrügge und Verden, von Hertzog Frantzen zu Sachsen promotoriales und Vorbittschreiben ausgebracht, also haben S.F.G. erst für weinig Jahren Ihr die itzo Wohnung zum Höperhöfen, durch die AmbtsDiener zu Rotenburg, in Gnaden ausweisen und vergünstigen lassen.
----Henrich Nöpke von Höperhöfen wehre wegen geübter Gewalt nach Rotenburgk gefenglich geholet und daselbst gestraffet worden.
----Johan Stavenhitter von Höperhöfen wehre darumb, daß ehr einen andern geschla­gen, zu Rotenburgk gefenglich eingezogen und gestraffet worden.

Ottersberg konnte ebensolche Fälle für seine Tätigkeit zitieren und so lief diese Art der Argumentation ins Leere.
Eine besonders interessante Frage ist: Wie haben sich die Bauern selbst verstanden? Hat die Zusammengehörigkeit, die der gemeinsame Name "Krummer Ort" suggeriert, im 16. Jahrhundert Bedeutung gehabt? Weiterhin, fühlten sich die Bauern in bezug auf ihre Zugehörigkeit als bremische oder verdische Untertanen, als rotenburgische oder ottersbergische Amtsangehörige, oder waren dies keine Kategorien, in denen sich ihr Bewusstsein bewegte? Am Beispiel des Konfliktes zwischen einzelnen Dörfern des Krummen Ortes soll dieser Frage nachgegangen werden.
Das ottersbergische Jordebuch von 1692 erwähnt in Ausführlichkeit den alten Kon­flikt zwischen Hassendorf und Waffensen um Weide-, Torfabbau- und Heidehauge­rechtigkeiten.55 Dort stellten vier Hassendorfer den Konflikt aus ihrer Sicht dar und der Schreiber des Jordebuches lässt sie in indirekter Rede sprechen: Hierbey erinnern die vorhin gedachten Leute, daß sie von denen Waffensern auf dem Osterhuder Mohr und Sprötzen Kamp (..) wegen des Heyde Hauens und Torffgrabens beeindrechtiget und sehr hart bedrenget würden, so daß auch die Waffenser ein wiederliches Urtheil (..) ausgewircket, mit welchem sie doch gantz und gar nicht zufrieden und deßhalben bey der Hohen Obrigkeit sonderlichste ümb remedirung anhalten müsten, umb so viel mehr, daß davorhin der so genandte Krumme Orth im Kirchspiel Sottrumb bey Ertz-und Bischöjflichen Bremen und Vehrdischen Zeiten mit unter der Graffschafft Otters­berg Jurisdiction in criminalibus und civilibus unstreitig gehöret (..), und diese zwischen den Haßendorffem und Waffensern streitig gwesene Sache vor dem ottersbergischen Gerichte zum öfteren ventiliret, welche vorlängst die Kraft rechtens ergriffen. Des Sehl. Hn. General Feld Marschall (..) Hans Christoff Königsmarcks (..) Rotenbürgische Beamte (..) nicht alleine allgemahlich die Krummen Orthischen Unterthanen, sondern auch in specie die gegenwertige, beyde Dorffschafften touchirende Sache nach dem Rotenbürgischen Gerichte widerrechtlich gezogen. Welches dann in folgenden Zeiten verursachet, daß, als sich die Hassendorffer althergebrachter Gewohnheit nach zum Hause Ottersberg als ihrer ordentlichen Obrigkeit gehalten, die Waffenser sich an die Herrschafft Rotenburg gehänget und ein ohnbefügtes gar schädliches Urthel in odium und zur Unterdrückung der Hassendorffer (..) erhalten. Auch das Hofgericht in Stade ist angerufen worden und scheint die Waffensener Position unterstützt zu haben, so daß die letzte Hoffnung der Hassendorfer bei der Königlichen Cammer lag, die die fehlende Einigung bezüglich der Jurisdiktionsgrenzen anerkannte und von den Beam­ten beider Seiten Bericht verlangte. Über den Verlauf des Konfliktes ist bereits be­richtet worden.
Hier begegnen uns die Hassendorfer als ottersbergische Untertanen und die Waffense-ner auf der Seite Rotenburgs. In einem ähnlichen Konflikt mit Sottrum um Weidege­rechtigkeiten57 aber haben sich die Hassendorfer an die Rotenburger Amtmänner gehalten, um ihre Interessen durchzusetzen. Jedes Dorf suchte sich also von Fall zu Fall die Seite aus, von der sie ihr "Recht" zu bekommen meinte und unterstellte sich sozusagen deren Jurisdiktion. Es war den Bauern letztlich egal, welche Seite die Gerichtsrechte ausübte. Die vorgetragenen prinzipiellen Erläuterungen hatten keinen anderen Sinn als die eigene Position bezüglich eines konkreten Besitzes bestätigt zu bekommen, wozu man sich die obrigkeitlichen Differenzen nutzbar zu machen suchte. Im Grenzkonflikt sind die Streitfälle zwischen den Dörfern des Krummen Ortes sogar noch häufiger (oder nur besser überliefert) aufzufinden als zwischen anderen Dörfern, so daß die Gemeinsamkeit der Benennung "Der Krumme Ort" im 17. Jahrhundert keine Realität widergespiegelt zu haben scheint. Jeder schlug sich wechselseitig dorthin, wo er den größeren Vorteil zu erwarten hatte, und die Beamten machten das Spiel bereitwillig mit, fanden sie doch so Unterstützung für ihre Interessen, nämlich die Inkorporation der Dörfer in ihren Amtsbereich.

Hinweise auf das Selbstverständnis der Bauern sind nur schwer zu ermitteln; selbst ausführliche Befragungen wie z.B, die, die 1606 und 1663 vom Amt Rotenburg durchgeführt wurden, bleiben diesbezüglich undeutlich. Am 20. Juni 1606 wurden zehn verdische Meier aus Höperhöfen, Steinfeld, Waffensen, Hassendorf und Sottrum befragt.58 Sie gaben Auskunft über ihre "Landfolge", die sie alle nach der Burg Ro­tenburg leisteten und nannten Beispiele dafür, wann dieses zuletzt gefordert worden war. Clauß Lange zum Höperhöfen betont: aber nach dem Stifft Bremen heften sie niemals Landtfolge gethan. Leider sind bei der anderen, von der schwedischen Regie­rung 1663 durchgeführten Befragung, die deutlichere Hinweise auf das Selbstver­ständnis der Bauern gibt, nur die "überwiestischen" rotenburgischen Meier des Kirch­spiels Sottrum angehört worden, nicht aber die Bewohner des Krummen Ortes.59 Die befragten Bauern aus Horstedt, Reeßum, Nartum, Steinfeld, Winkeldorf und Tarm-stedt erklären alle, daß sie im Herzogtum Bremen wohnten, was ja auch nicht verwun­dert. Erstaunen tut dann schon eher, daß sie alle zu Rotenburg aufm Landgericht erscheinen müssen, das Sottrumer Gericht also zu diesem Zeitpunkt endgültig erlo­schen war und die bremischen Integrationsversuche in das Ottersberger Gericht selbst für diese weit von Rotenburg entfernt wohnenden Bauern gescheitert waren. In ihre Aussagen ordneten sich die Bauern über Gerichtspflicht und Landfolge als Amtsange­hörige klar Rotenburg zu, obwohl sie ebenso klar im Herzogtum Bremen wohnten. Hier war die Stellung als Minderheit in fremder Umgebung eher sogar klärend, während im Krummen Ort die Versuche zur taktischen Ausnutzung der konkurrierenden Ämter überwogen.
Hofschafstall Höperhöfen

ältestes Gebäude Höperhöfens aus dem Jahre 1692/1694